Lob des Fachgeschäfts
Montag, 2017-08-21 | 0:29:19 CET
Am Freitag hat mich eine wunderbare kleine Stadtwanderung zu versteckten Oasen, speziellen Läden und denkwürdigen Orten in Zürich geführt, mit denen ich häufig auch besondere Erinnerungen aus den letzten Jahren verbinde.

Wer als Tourist in die Stadt kommt, bekommt vermutlich oft einen falschen, oder sagen wir: recht unvollständigen Eindruck von Zürich. Eine Altstadt wie ein hochglanzpoliertes Puppenhaus, geleckte Strassen, die einem das Gefühl vermitteln, jederzeit vom Boden essen zu können, allzu oft arrogantes oder demonstrativ gelangweiltes Personal in den horrend teuren Läden, ein fast schon obszöner Wohlstand allenthalben. Aber auch wenn etwas Wahres dran ist, so ist das doch nur eine Facette einer wunderbar bunten Stadt, die noch deutlich mehr zu bieten hat, und auch weit weniger spiessig oder arrogant ist, als ihr Ruf nahelegt. Man muss nur durch die richtigen Viertel spazieren …
Was ganz generell selten geworden ist, nicht nur in Zürich, ist das Fachgeschäft, und dem will ich heute ein Kränzlein winden.
Erste Station: eines der grössten Phänomene überhaupt. Pusterla heisst der Laden, und ist ein Elektronikgeschäft, wie es wohl nicht mehr viele geben dürfte.

Man bahnt sich mühsam einen Weg durch enge Gänge zwischen hoch gestapelten Kartonboxen mit Kleinteilen, Kabelrollen, vollgehängten Regalen und merkwürdigen Apparaten. Bis unter die Decke vollgestopft ist das Bastlerparadies, und man hat das starke Gefühl, dass es hier wohl kein vorstellbares Teil nicht zu kaufen geben könnte. Wahnsinn! Und die Zeit ist vollkommen stehengeblieben. Im Sonderangebot: ein Programmierbuch für den Schneider Joyce (!) von 1986 … und die Schachtel mit den Fluoreszenzdisplays, von denen ich vor ca. fünf Jahren spontan eines gekauft hatte, steht noch immer am selben Ort. Ich kenne Pusterla seit siebzehn Jahren, und nichts hat sich verändert; ich hoffe sehr, das bleibt auch die nächsten Jahrzehnte so. – Hohlstrasse 52
Zweite Station: der New Asia Market ist eigentlich »nur« ein gewöhnlicher asiatischer Supermarkt, aber was für einer! Eine Riesenauswahl, extrem engagiertes Personal, die Grossmutter (?) an der Kasse, und der Geruch raubt einem den Atem. Köstlich: die kleinen Reiskuchen mit Erdnussfüllung. – Feldstrasse 24
Dritte Station: UpBeat, ein Synthesizer- und Musikelektronikparadies. Es ähnelt ein wenig Pusterla – insofern, als es auf kleiner Fläche eine unglaubliche Dichte an Geräten und anderen Waren zu bestaunen gibt und nie der geringste Zweifel daran aufkommt, dass man hier extrem kompetent beraten wird. Nur das Angebot ist deutlich aktueller. Wer hier einmal zu Besuch war, bestellt nie wieder etwas anonym im Internet. Hoffentlich gibt es solche Geschäfte noch sehr, sehr lange. – Bertastr. 8
Vierte Station: Shere Punjab passt als indischer Imbiss nicht ganz in die Reihe, aber das Essen dort (sorgfältig frisch zubereitet von einem älteren Herrn mit langem Bart und grossem Turban) ist so unverschämt fein, das kann man als »Fachgeschäft« durchgehen lassen! – Sihlfeldstrasse 45
Fünfte Station: die Laserzone gehört wohl leider zu einer bald aussterbenden Gattung, der des DVD-Geschäfts. Derzeit läuft ein grosser Ausverkauf, man zieht um in Büroräume ohne Schaufenster … und beschränkt sich vielleicht bald auf den Online-Handel (der sicher dank Netflix und Co auch schon ordentlich unter Druck ist). Schade! Wo sonst findet man eine solche Crew an Überzeugungstätern am Werk, und eine derart schräge Auswahl von Filmen aus aller Herren Länder. Darunter so ausgesuchte Streifen wie »Samurai Zombie« oder »Ebola Syndrom« … – Bäckerstr. 25 (noch)
Sechste Station: Analph ist auch so eine coole Adresse. So stellt man sich einen Comic-Laden vor! Und der Bursche an der Kasse wirkt, als ob er das Erscheinungsjahr jedes einzelnen Hefts und auch sonst das gesamte Sortiment des nicht ganz kleinen Ladens im Kopf hätte. Leider bin ich auf dem Gebiet nicht im Entferntesten kompetent genug, um eine Frage zu stellen, die es wert wäre gestellt zu werden (und den Meister auf die Probe stellt). Die »Sandkorntheorie« hatten sie jedenfalls vorrätig (toller Band!). – Strassburgstrasse 10
Ich könnte noch zwei, drei weitere gute Adressen aufzählen, die ich an dem Tag besucht habe, aber belassen wir's mal dabei. Meine Empfehlung jedenfalls lautet: einfach mal wieder in einen richtigen Laden gehen. Ich schätze den Komfort des Online-Bestellens wie jeder andere, und mache von der Möglichkeit auch viel Gebrauch. Aber manchmal … da muss es ein richtiges Fachgeschäft sein, in dem man Dinge in die Hand nehmen, die Atmosphäre einsaugen und den Cracks vor Ort ein paar Fragen an den Kopf werfen kann (und dann eine verdammt gute Antwort bekommt). Ich bin jedenfalls froh, dass es obige Perlen noch gibt, und hoffe sehr, das bleibt so.
Volle Zustimmung
von Schubsi - Montag, 2017-08-21 | 7:47:03 CET
Hallo Jan,
dem kann ich nur voll und ganz zustimmen (ohne auch nur einen einzigen der Läden in Zürich zu kennen). Ich bin gerne bereit, mich von einem lokalen Einzelhändler beraten zu lassen und ggf. den – wenn überhaupt meist geringen Aufpreis im Vergleich zu Amazon und Co. – zu bezahlen.
Allerdings könnten alle anderen sofort von der Bildfläche verschwinden. Große Märkte, in denen der »Fachberater« nicht viel mehr kann, als die Daten der Schilder zu wiederholen, brauche ich nicht wirklich. Lesen kann ich selbst … ;-)
In diesem Sinne, eine schöne Zeit und mögen die kleinen Läden einer rosigen Zukunft entgegensteuern.


