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Das Versagen

Sonntag, 2020-12-20 | 23:44:03 CET

Am liebsten hätte ich nicht mehr über Corona schreiben müssen … und im Sommer sah es ja auch so aus, als wäre die Pandemie hier grösstenteils ausgestanden. Die erste Welle knapp überstanden, die Fallzahlen tief, erste Erfolgsmeldungen aus der Impfstoffforschung – und dann kam alles anders. Es sieht so aus, als seien der Schweiz sonst eher positiv wirksame Faktoren zum Verhängnis geworden.

Die Politik glänzt hier mit Stabilität und einem ausgeprägten Hang zum Kompromiss, aber meist nicht mit grosser Schnelligkeit – ein Virus wartet jedoch nicht. Das Konkordanzprinzip sorgt dafür, dass sich richtige Einzelmeinungen z.B. des Gesundheitsministers im Bundesrat nicht unverwässert durchsetzen. Der Föderalismus (aka »Kantönligeist«) ist stark ausgeprägt und wird zum Hemmschuh, wo einheitliche landesweite Massnahmen notwendig wären, aber stattdessen ein Flickenteppich mit vielen kantonalen Unterschieden entsteht. Einen starken, in dem Fall leider sehr problematischen Einfluss hat die traditionell einflussreiche Wirtschaftslobby, die sich bis zum Schluss mit Händen und Füssen gegen Eindämmungsmassnahmen wehrte. Auch die Mentalität spielt eine Rolle: unangenehmen Wahrheiten sieht man in der erfolgsverwöhnten und nicht wahnsinnig krisenerprobten Schweiz eher nicht so gerne in's Auge. Viele Menschen sind es nicht gewöhnt, sich einzuschränken.

Es wird Berufeneren und nachfolgenden Generationen überlassen bleiben, das Versagen in der Bekämpfung der globalen Pandemie im Jahr 2020 genauer zu analysieren, und welchen der obigen Faktoren man dabei welches Gewicht beimessen wird, ist offen. Alle werden eine grössere oder kleinere Rolle dabei gespielt haben, dass die Schweiz so hart von der zweiten Welle getroffen wurde. Dabei ist nur ein kleiner Trost, dass es vielen anderen Ländern nicht so wahnsinnig viel besser geht, auch wenn die Ansteckungszahlen der Schweiz zeitweilig wirklich die höchsten in Europa waren.

So sitzen wir also kurz vor Weihnachten alle zuhause – zumindest die unter uns, die nicht arbeiten können oder dürfen, oder die Privilegierten, die ihren Job von zuhause aus erledigen können. Restaurants, Sportstätten und Kultureinrichtungen sind geschlossen, viele davon sehr akut in ihrer Existenz bedroht, Reisen ist nahezu unmöglich geworden oder mit grossen Hemmnissen verbunden. Nur Skifahren, das kann man in der Schweiz absurderweise an manchen Orten noch (wer weiss, wie lange noch) … zu dumm, dass mir das Herumrutschen auf Brettern im Schnee noch nie etwas bedeutet hat.

Der halbherzige »Lockdown light« läuft Gefahr, sein Ziel zu verfehlen, und verhagelt trotzdem allen die Laune und das Weihnachtsfest. Von den vielen Toten reden wir erst gar nicht.

Das hätte nicht sein müssen.

 

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