Ein Alptraum ist (fast) vorbei
Montag, 2020-11-09 | 0:12:43 CET
Ein besseres Wort fällt mir für die vergangenen vier Jahre Trump-Präsidentschaft nicht ein. Vier Jahre Grausamkeiten, Skandale, Korruption, Lügen, Poltik mit der Abrissbirne. Das konnte einem auch in Europa nicht egal sein.
Jetzt ist die Erleichterung gross, dass es für Biden/Harris doch noch gereicht hat – auch wenn es reichlich unbegreiflich scheint, wie das überhaupt knapp hat werden können. Ein halbes Dutzend Skandalbücher, zwei Dutzend Frauen mit Belästigungs- oder gar Vergewaltigungsvorwürfen, sinnlose Handelskriege und ein explodierendes Defizit, ein Amtsenthebungsverfahren und zum krönenden Abschluss eine Viertelmillion Tote dank eines vollkommenen Versagens bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie, das alles (und viel mehr, die Liste wäre endlos) hat nicht gereicht, seine Zustimmungsquote signifikant zu drücken.
Und bei aller nahezu täglichen Entrüstung, konnte und wollte man den Geschehnissen in Amerika überhaupt noch folgen, ohne ein nervöses Augenzucken zu entwickeln, hatte sich doch so etwas wie eine gewisse Gewöhnung, sagen wir besser: Abstumpfung eingestellt.
Umso grösser der Schock jetzt, hört man die Siegesrede von Joe Biden: da spricht ein Mensch mit Charakter und Erfahrung, und ganz so wie ein Präsident sprechen sollte. Und nicht mehr ein Vertreter der New Yorker Immobilien-Mafia. Biden muss kein grossartiger Präsident werden, ich bin schon froh, wenn wieder etwas Normalität Einzug hält. Und eine Frau als Vize.
Eine Erklärungsversuch für das Wählen Trumps …
von Schubsi - Montag, 2020-11-09 | 9:39:51 CET
Hallo Jan,
du sprichst mir aus der Seele. Alles wahr … Aber vielleicht kann ich dir einen kleinen Hinweis, einen möglichen Erklärungsversuch für die Frage, warum immer noch so viele Menschen Trump gewählt haben, liefern. Es ist eine Tatsache, die mir auch erst bewusst ist, seit ich vor drei Jahren mit der ganzen Familie für 2 Monate an der Ostküste herumgereist bin und wir dabei viele nette Amerikaner kennengelernt haben (wir haben AirBNB viel genutzt): in 13 (!) Bundesstaaten der USA ist die Grundannahme, dass Kinder, die nicht in die Schule geschickt werden, schon zuhause unterrichtet werden…
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: du kannst Kinder zuhause „unterrichten“, ohne, dass du es beantragen müsstest, ohne, dass irgendwer den Lernfortschritt kontrolliert, einfach so.
Ich finde, das erklärt ziemlich viel… In anderen Bundesstaaten sowie in anderen Ländern, in denen „Homeschooling“ schon zu Zeiten vor einer Pandemie möglich war, muss man das beantragen, es muss bewilligt werden und die Kinder müssen regelmäßig Leistungsnachweise über altersgerechte Lernfortschritte ablegen.
Und ich kenne jetzt zwar nicht alle 13 Bundesstaaten, wo das wie oben beschrieben ist, aber an 2-3 kann ich mich erinnern, und die sind alle an Trump gegangen… Möglich, dass das nichts miteinander zu tun hat, aber auch möglich, dass die Dummheit der Menschen im Schnitt in solchen Staaten etwas höher ist… ;-)
Ich nehme an …
von Jan - Montag, 2020-11-09 | 22:28:28 CET
… das wird auch eine Rolle spielen; die Statistiken zeigen bekanntlich, dass im allgemeinen sein Support bei der schlecht gebildeten weissen Unterschicht und radikalen Evangelikalen am stärksten ist, und das sind sicherlich auch Milieus, in denen häufiger jeglichen staatlichen Strukturen misstraut und Homeschooling vorgezogen wird. Und ja, das sind Verhältnisse, die wir uns hier nur schlecht vorstellen können.
Andererseits ist, denke ich, schon klar geworden, dass es da noch mehr Gründe gibt. Von einem subjektiven Gefühl des Abgehängtseins und einer Wut auf »die Eliten« oder »die in Washington«, die er erfolgreich angezapft hat, über tatsächliche Vernachlässigung (sind wir ehrlich: für weite Landstriche interessiert sich die amerikanische Politik genau alle vier Jahre einmal, wenn es um das Einsammeln von Wählerstimmen geht, und sonst eher nicht), bis hin zu ganz dummen Motiven wie dem, dass Leute Trump ihre Stimme geben, weil sie »von ihm« einen Scheck über USD 1200 per Post erhalten haben. Am Ende bin ich auch überzeugt, dass es genügend versteckte oder offen lebende Rassisten gibt, die in Trump einen der Ihren erkennen. Ich sage nur »fine people« (Charlottesville) und kürzlich »stand back and stand by«.
Sind es nur Dumme oder Ungebildete, die ihn wählen? Leider nicht.


