Dune
Mittwoch, 2021-10-06 | 0:29:16 CET
Die Geschichte des »Wüstenplaneten«, des Romans von Frank Herbert aus dem Jahr 1965, ist eine verwickelte. Die Kurzfassung ist, dass sich das komplexe, mit Ideen vollgestopfte Werk bis anhin jeder brauchbaren filmischen Umsetzung entzogen hatte. Der Roman ist nicht nur schlicht zu umfangreich, um sich halbwegs auf gängige Kinofilmlänge stutzen zu lassen, sondern strotzt auch nur so vor erklärungsbedürftigen Konzepten und Begriffen, sowie inneren Monologen der Hauptfiguren, die eine filmische Umsetzung anspruchsvoll machen. Ein erster Anlauf fiel schon in Trümmer, bevor es richtig losging – »Jodorowsky's Dune«, eine sicher interessante Dokumentation, die ich leider noch nicht sehen konnte, zeugt davon.
Dann kam Lynch … und scheiterte 1984 am Stoff [1], und das so arg, dass man den Altmeister heute besser nicht mehr darauf anspricht, und er seinen Namen im Zusammenhang mit »Dune« nicht mehr genannt sehen will. Ich finde ja, der Streifen ist unterbewertet und besser als sein Ruf: er versagt dabei, die Geschichte konsistent zu erzählen, um die es eigentlich geht, und glänzt auch nicht immer bei den Effekten. Was aber stark ist, ist das Produktions-Design: die Lynch-Fassung findet immer wieder prägnante Bilder, die die Fremdartigkeit der Zukunft, in der »Dune« spielt, gut vermitteln. Der Zufall will es, dass ich die Version von 1984 im zarten Alter von 13 oder 14 Jahren (so etwa um die Zeit muss es gewesen sein) zu sehen bekam, und mit dem Verständnis der Story zwar nicht hinterherkam (muss nicht nur an mir gelegen haben), aber von einigen Szenen so fasziniert war, dass sie mir ein Leben lang geblieben sind. Mit dem halb verunglückten Lynch-Streifen war die Saat gesät, und nur wenige Jahre später habe ich dann den Roman gelesen, ich meine zweimal, jetzt kürzlich dann, Jahrzehnte später, zum dritten Mal.
So habe ich diesen Stoff, oder zumindest ein paar Fetzen und Bilder davon, mein Leben lang mit mir herumgetragen, und konnte die Faszination für den Wüstenplaneten nie ganz abstreifen. Wie viele andere habe auch ich stets gehofft, dass es noch einmal eine gelungenere filmische Umsetzung geben würde, die nicht nur in sich geschlossener und technisch besser, sondern auch näher am Buch ist. Die Geduld wurde arg strapaziert: jetzt endlich, im Jahr 2021, ist eine ansehnliche Fassung zu bestaunen [2], und der Held, der es geschafft hat, ist Denis Villeneuve, der schon mit »Arrival« [3] einen hervorragenden Job gemacht und auch bei »Blade Runner 2049« [4] weitgehend überzeugt hatte. Ein talentierter Mann! Neulich konnte ich die Neuverfilmung endlich sehen (nicht, ohne noch vorher zur Auffrischung den Roman zu lesen), und habe das Fazit eigentlich schon verraten: ja, der Film ist gut und sehr sehenswert.
Aber vielleicht erst noch ein paar Worte zum Roman. Es wäre zwar wohl vergeblich, den Inhalt hier zusammenfassen zu wollen; man muss zuerst einmal nur wissen, dass er in einer sehr fernen Zukunft spielt, in der sich die Menschheit über viele Planeten ausgebreitet hat, die von verschiedenen Fraktionen (Häusern) beherrscht werden. Die Computertechnologie ist ausgemerzt worden, aber interplanetare Raumfahrt in gigantischen Schiffen existiert: hier hat die Raumfahrtgilde das Monopol, deren Vertreter nur mit Hilfe einer deshalb sehr kostbaren Droge durch Raum und Zeit navigieren können, dem »Gewürz« (Spice). Diese wichtige Substanz wird einzig auf einem ansonsten sehr kargen und gefährlichen Wüstenplaneten gewonnen (welcher eigentlich Arrakis heisst, genannt »Dune«), der deshalb heiss umkämpft ist. Daneben gibt es einen geheimnisvollen Frauenorden, eine Art Kult, der die Geschicke der Menschheit zu lenken versucht. Vor diesem Hintergrund ist der »Wüstenplanet« eine Abenteuergeschichte mit Schlachten und Intrigen, gleichzeitig der Entwicklungsroman des jungen Paul Atreides, der zu einer Art Erlöserfigur wird. Das alles wird garniert mit einigem esoterischen Hokuspokus über Konzentration und mentale Kräfte, sowie die wundersamen Wirkungen des »Spice«, der Droge, um die sich vieles dreht. Die Sechziger, kann man da nur sagen! Das alles könnte ein hinreissend schlechtes Buch abgeben, wenn der »Wüstenplanet« nicht so reich an interessanten Einfällen und so sprachgewaltig wäre. Herbert hatte keinen Aufwand gescheut, eine glaubhafte Welt zu erfinden, mit einer eigenen Ökologie und zahlreichen Details zu den Religionen und Gebräuchen, so etwa den Ritualen der Ureinwohner des Wüstenplaneten, der Fremen (diese sind menschlich, aber es bleibt offen, wie sie dorthin gelangt sind). In diesem Erfindungsreichtum kann der Roman sicher mit dem von Tolkien mithalten.
Auch wenn einem das Messianische und Psychedelische suspekt und die Abhandlung über Kolonialismus und die Ausbeutung von Ressourcen auf Kosten von Ureinwohnern einer fremden Welt zu wenig unterhaltsam sind: man kann den Roman mit grossem Gewinn lesen und wird nicht gelangweilt. Bei der erneuten Lektüre kürzlich, im Alter jenseits der Mitte vierzig, habe ich doch gestaunt, wie gut geschrieben und auch immer noch zeitgemäss dieser Brocken ist.
Wo überzeugt nun Villeneuves Film? Zunächst schon einmal mit der geglückten Besetzung vieler zentraler Rollen. Oscar Isaac als Leto Atreides: absolut perfekt. Exakt so muss der Mann aussehen, und genau dieses Bild hatte ich Jahrzehnte lang im Kopf. Er ist der Herzog. Überraschend anders, als ich sie mir vorgestellt hatte, vielleicht einen Tick zu jung, aber interessant und ganz grossartig in der Rolle der Lady Jessica: Rebecca Ferguson. Die perfekte Mischung aus der Strenge der Bene Gesserit und Verletzlichkeit einer sich sorgenden Mutter. Toll! Unerwartet blass hingegen bleiben Bardems Stilgar und Ramplings ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam (hier hat es nicht geholfen, dass ein Schleier ihr spannendes Gesicht verbirgt), aber das schadet dem Film nicht allzu sehr. Dazu die Kulissen: wow. Die Effekte: auf der Höhe der Zeit. Technische Schwierigkeiten wie eine glaubhafte Darstellung der Körperschilde (eigentlich eine Art Kraftfelder), oder der »Ornithopter« (kurz »Thopter«) genannten Hubschrauber-artigen Fluggeräte: gemeistert. Insgesamt das Produktionsdesign: nicht ganz so mutig wie das bei Lynch, aber eindrucksvoll und aus einem Guss. Man kann also viel Gutes sagen über Villeneuves Werk. Auch er hadert mit dem Umfang des Stoffs, musste ihn raffen, war aber vor allem mutig genug, den Roman in zwei Teile zu teilen und nur aus dem ersten den vorliegenden Film zu machen. Auch wenn es auf den Werbeplakaten nicht deutlich wird: es liegt hier nur Teil eins vor, und ich kann nur hoffen, jemand gibt ihm das Geld für einen ebenso guten Teil zwei. Der Schnitt erfolgt nach dem Duell, das Paul Atreides die Aufnahme bei den Fremen sichert.
Nicht ganz überzeugt hat mich, ausgerechnet, eben jene Hauptfigur, Paul Atreides. Spötter sagen, Timothée Chalamet wirke eher wie ein verwöhnter Musterknabe aus der Pariser Oberschicht als ein streng erzogener Thronfolger und tougher Kämpfer. Zu makellos, zu weich, zu sehr der Schönling. Dennoch kein schlechter Schauspieler, und die Visionen, die ihn ereilen, die nimmt man ihm ab.
Was nur teilweise gelungen ist, sind Dehnung und Raffung des Stoffs: der Film nimmt sich die Zeit, die verschiedenen Charaktere gründlich einzuführen, was ein Luxus und grosser Gewinn ist, muss dann aber den Teil bis zum Ausbruch des Krieges mit den Harkonnen recht zügig erzählen, und lässt dabei notgedrungen auch einige wichtige Szenen weg. Kaum ist der Umzug nach Arrakis geschehen, den man nur in wenigen groben Pinselstrichen dargestellt bekommt, rumpelt es schon und der Feind steht vor den Toren. Als Zuschauer, der den Roman vielleicht nicht gelesen hat, vermisst man die Diskussion des Plans des Barons Harkonnen, die dieser mit seinem Berater führt. Der warnende Brief mit der versteckten Botschaft, den Jessica im Roman in dem geheimen Gartenraum findet, die Szene fehlt. Fehlen tut damit auch das permanente Gefühl der Bedrohung durch Fallen und Meuchelmörder: die Szene mit dem Attentat per »Jägersucher« und dem eingemauerten (!) Bösewicht, der diesen fernsteuert, kommt recht kurz. Manche Figuren, die durchaus interessant wären, sterben ihren Tod, bevor sie einen zweiten Satz sagen konnten (Shadout Mapes). Dafür dass ein wichtiger Teil der Geschichte so flott erzählt wird, zieht es sich dann im zweiten Teil wieder deutlich in die Länge. Aber was will man sagen, es ist halt auch nicht einfach … das gebohrte Brett ist nun mal ziemlich dick, da kann man es als Regisseur vermutlich nie recht machen.
Wenn wir schon gerade beim Herummäkeln sind – mir ist wie vielen anderen unklar, wieso Liet Kynes plötzlich eine Frau sein soll – was eigentlich so keinen Sinn ergibt, wenn man die Rolle dieser Figur und die Kultur der Fremen, wie sie im Roman beschrieben ist, versteht.
Aber Schwamm drüber, das ist alles Jammern auf sehr hohem Niveau. Mich hat der Film glänzend unterhalten und keineswegs enttäuscht, im Gegenteil: er lässt die Mängel der Lynch-Fassung vergessen und sorgt für neue, einprägsame Bilder, die ich fortan mit mir herumtragen werde.
Wer bis hier gelesen hat, der hat genügend Interesse am Thema und das Sitzfleisch, auch den aktuellen »Dune« mit seinen zweieinhalb Stunden Laufzeit (für die erste Hälfte des Buchs) durchzustehen. Auf, in's Kino!
[1]
https://www.themoviedb.org/movie/841-dune
[2]
https://www.themoviedb.org/movie/438631-dune
[3]
https://www.themoviedb.org/movie/329865-arrival
[4]
https://www.themoviedb.org/movie/335984-blade-runner-2049


