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Joker

Montag, 2019-10-14 | 23:38:07 CET

Es war in meinen Kindheitstagen, ich war vermutlich noch nicht einmal zehn Jahre alt, da nahm ich meinen Mut und das Taschengeld zusammen und erstand im Kiosk nahe der Schule ein Batman-Heft. Und das sehr zum Missvergnügen meiner Eltern, von denen ich mir, als die Sache aufflog, ernste Ermahnungen anhören musste. Das Heft verschwand dann auch kurz darauf im Müll, aber da hatte ich es natürlich schon längst gelesen. An den Inhalt kann ich mich nicht mehr erinnern, jedoch an eines: dass der Bösewicht Joker hiess und etwas herrlich Abgedrehtes hatte. Aus mir ist dann letztlich kein besonders begeisterter Comic-Fan geworden, und die meisten der Superhelden-Filme wie ihrer Pre- und Sequels, die die letzten Jahre die Kinos gefüllt haben, sind mir eigentlich am Allerwertesten vorbei gegangen, vom zu Recht gelobten »Dark Knight« einmal abgesehen, der seine Faszination für mich eigentlich auch vor allem aus Heath Ledgers sensationeller Darstellung des Joker schöpfte – der freilich ein ganz anderer Joker war als der, den ich aus jenem ersten Heft kannte.

Nun ist eine Verfilmung des Werdegangs des Joker im Kino zu sehen [1], die bei allen Stärken (in Cannes mit einer Comic-Verfilmung einen Preis abräumen, das muss man erst einmal schaffen) doch offensichtlich sehr polarisiert, vielleicht gerade auch jetzt in politisch aufgeheizten Zeiten. In der deutschen Presse (z.B. ZEIT, Spiegel) gab es einige lesenswerte, aber auch sehr kritische Besprechungen, die »Joker« zum inhaltsleeren Knallbonbon erklären, zum gewollten, aber nicht gekonnten politischen Kommentar. Schlimmer noch, der Film sei ein neumodisches, eigentlich unötiges »Taxi Driver«-Remake für die Iphone-Generation, eine Vorlage für gewaltbereite Nachahmungstäter, die Hochstilisierung eines weissen, wütenden Mannes zum Opfer widerlich, usw. Auch die Gewaltszenen werden dem Film zum Vorwurf gemacht.

Ich habe am Wochenende einen ganz anderen Film gesehen, und glaube es hätte dem einen oder anderen Kritiker geholfen, die richtige Brille aufzusetzen und sich der Sache nicht mit völlig überzogenen Erwartungen zu nähern. Ich denke nicht, dass die aktuelle Joker-Verfilmung ein politischer Kommentar sein muss – der Streifen ist in erster Linie die Charakterstudie eines verrückten Mörders und Comic-Bösewichts. Nicht viel mehr, aber auch nicht weniger, und das macht er dank starken Bildern und einem ganz herausragenden Hauptdarsteller sehr, sehr gut. Das nuancierte, ausdrucksstarke Spiel von Joaquin Phoenix (für mich: Oscar!) macht den Werdegang des Joker plausibel, vom definitiv gestörten, aber eigentlich harmlosen »Clown zum Mieten« mit grossen Träumen zu genau der Figur, die mir als Dritt- oder Viertklässler so wohlige Schauer über den Rücken gejagt hatte. Jede Bewegung stimmt, jeder Blick erzählt Geschichten, das krankhafte Lachen verfolgt einen bis in den Schlaf – und bei allem Mitgefühl, das man anfangs mit der buchstäblich gequälten Kreatur Arthur Fleck haben mag, ist doch auch immer klar, dass sein Absturz in den völligen Wahnsinn unvermeidbar sein und böse enden wird. Ich hätte Phoenix noch lange weiter zusehen mögen, und der Film ist ausgesprochen fesselnd, man langweilt sich keine Minute.

Interessant ist für mich auch der Blickwinkel auf den Joker als vermeintlichen Volkshelden und anarchistisch bewegten Mastermind, der die Massen manipuliert: das ist er eben nicht. Die randalierenden Menschen in den Strassen wollen ihn so sehen, machen ihn dazu – aber unterliegen einem folgenschweren Irrtum, denn eigentlich ist er einfach nur ein Irrer. Die Anarchie, die Plünderungen, die angezündeten Barrikaden, am Ende auch die Ermordung der Eltern des jungen Bruce Wayne – alles nur Missverständnis, ungeplante Eigendynamik, ein Kollateralschaden.

»Joker« ist nicht ohne Makel: so lässt sich über Auswahl und Penetranz der musikalischen Untermalung streiten, oder das doch sehr dick aufgetragene, holzschnittartige Porträt einer wirklich sehr düsteren Welt (man erinnere sich: Gotham ist eine fiktive Stadt aus einem Comic, Anspielungen auf das reale New York der frühen Achtziger hin oder her). Die wenigen (ich denke es sind vier), aber durchaus drastischen Gewaltszenen hingegen schienen mir im Vergleich zu vielem anderen, was heute schon im normalen Fernsehprogramm geboten wird, nicht als unverhältnismässig. Sie ergeben sich fast zwingend aus der Geschichte, werden nicht ausgewalzt, vieles geht sehr schnell, die Opfer verschwinden aus dem Bild. Zu keinem Zeitpunkt entstand bei mir der Eindruck, die Kamera wäre voyeuristisch, suhle sich im Blut – während die Morde gleichzeitig sehr weit weg sind vom harmlosen »bäng bäng, einer fällt um« alter Western. Wenn es dann passiert, geht es unter die Haut. Nachdem ich den Film gesehen habe, fällt es mir aber sehr schwer mir vorzustellen, wie er als Inspiration oder gar Anleitung für künftige Taten dienen sollte. Ganz davon abgesehen, dass waffentragende Fremdenhasser und Amokläufer (z.B. in El Paso, Dayton oder Christchurch) leider gar keine weiteren Vorlagen brauchen.

Aber der Joker, der da die Treppe heruntertanzt, das ist der Joker meiner Kindheit, und er macht mir noch immer Gänsehaut. Das ist die Magie des Kinos.

[1] => https://www.themoviedb.org/movie/475557-joker

 

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